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Kontrollverlust

Als Kontrollverlust bezeichnet Michael Seemann – besser bekannt als mspro – unseren Verlust der Kontrolle über unsere Daten. Egal, wie sehr wir uns darum bemühen, unsere Daten vor Zugriff durch Unternehmen oder Staaten zu schützen, so generieren wir doch ständig unvermeidlich Daten, die wir nicht kontrollieren und die dank immer besser werdender Auswertungsmöglichkeiten gegen uns verwendet werden können.

In der letzten Woche machte die Geschichte von Marco die große Runde durchs deutsche Netz. Er wollte einen Handy-Vertrag abschließen und wurde abgelehnt. Als er nachfragte warum, bekam er Post von einem Scoring-Unternehmen, das zwar keine eigenen Daten von ihm besaß, aber allein auf Grund seiner Anschrift ermittelte, dass seine Zahlungsbereitschaft (Erfüllungswahrscheinlichkeit) bei 67% liegt.

Hier liegen also Datenbestände und Statistiken vor, auf die kein einzelner Mensch mehr Einfluss nehmen kann, deren Auswertung aber jeden einzelnen jederzeit betreffen können. Dabei ist Marcos Erlebnis nur die Spitze des Eisberges, wahrscheinlich ist mehr oder weniger jeder von uns durch derartige Mechanismen betroffen, ohne das zu bemerken. Beispielsweise steht in Online-Shops eine Zahlung per Rechnung oft nicht mehr zur Verfügung, nachdem Name und Anschrift angegeben werden. Wer von uns stößt dabei schon sofort die große Recherche an, welche Daten oder Maßstäbe hier zu Grunde gelegt wurden?

Eine andere Geschichte, die gerade um die Welt geht, ist die Herausgabe von privaten Nachrichten von Twitternutzern an amerikanische Behörden. Es geht dabei um Nutzer, die die Twitternachrichten von Wikileaks verfolgen. Das ist insofern beängstigend, als dass hier keine der Parteien etwas Unrechtes getan hat: Wikileaks hat vollkommen legal Informationen veröffentlicht, die (hoffentlich) auch jede andere publizistische Plattform oder Zeitung veröffentlich hätte, wenn sie ihr zugespielt worden wären. Die Twitternutzer haben lediglich – wahrscheinlich überwiegend völlig wertungsfrei  – die Nachrichten gelesen, die Wikileaks auf Twitter veröffentlicht hat. (Es ist davon auszugehen, dass auch andere Netzwerke und Plattformen zur Herausgabe von Nutzerdaten gezwungen wurden, Twitter hat diesen Vorgang nur als bisher einziges Unternehmen öffentlich gemacht).  Wer weiß, ob nicht ein vermeintlich harmloser Klick auf Gefällt mir zur unüberwindbaren Hürde beim nächsten USA-Besuch wird?

Es wird nicht lange dauern, bis die beiden Aspekte zusammenlaufen. Irgendwann gibt es Filter, die unsere sozialen und demografischen Daten, unsere Vorlieben, unsere Meinungsäußerungen, unser Shoppingverhalten, unser Surfverhalten, unsere Vorratsdaten zusammen werfen und analysieren. Es ist beängstigend, welche Werkzeuge Staaten und Unternehmen damit in die Hand bekommen und ich fürchte, die Nutzer werden kaum Möglichkeiten haben, sich der Analyse zu entziehen. Wir haben die Kontrolle über unsere Daten verloren. Kontrollverlust. Der Datenschutz steht vor großen Aufgaben.

Und irgendwann fällt es vielleicht sogar auf, wenn man sich der Nutzung des Internets und/oder diverser Plattformen komplett verweigert. Schweigen ist auch eine Information.

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