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Brügge sehen und überleben

Es war spät und wir nicht mehr ganz nüchtern, ganz allgemein also in einem Zustand, aus dem nicht zwingend die besten Ideen hervorgehen. „Wie wärs mit Brügge?“ sagt er, „Lass uns nach Brügge fahren!“

Ich hab nicht mal gewusst, wo dieses bescheuerte Brügge ist.

Es ist in Belgien.


Brügge

Die letzten zwei Sätze sind Zitate aus dem Film Brügge sehen und sterben. Ein Film in dem Colin Farrell als gescheiterter Auftragskiller nach Brügge zwangsversetzt wird und dem Charme der Perle Flanderns nur wenig abgewinnen kann*. Natürlich fand ich Brügge nicht bescheuert, ganz im Gegenteil eigentlich. Aber dieser wirklich hervorragende Film war der Grund warum wir überhaupt auf die Idee gekommen sind, in das Scheißkaff zu fahren, also soll er hier auch entsprechend gewürdigt werden.


Fucking Bruge – Bescheuertes Brügge

Fairerweise muss ich aber zugeben, dass wir schlecht vorbereitet waren. Zwar haben wir den Film vorher noch einmal gesehen, aber es ist doch überraschend, wie wenig sich von der Kulisse eines Films einprägt. Zum Beispiel hätte ich schwören können, dass Harry in der markanten Szene am Ende auf einer Brücke steht, als er versucht Ray zu treffen:


Screenshot aus dem Film

Tat er aber gar nicht, tatsächlich war das nur so ein Geländer da neben dem Hotel, das ich das ganze Wochenende nicht wieder erkannt habe:


Das Hotel aus dem Film in echt, rechst unten ist das Geländer

Wir wussten zwar, dass es ein Drehort war – nicht zuletzt unser Bootsfahrer bei der obligatorischen Grachtenfahrt hat uns darauf hingewiesen – aber ich habe es irgendwie nicht der richtigen Szene im Film zuordnen können.


Spielplatz im Königin-Astrid-Park – Keine Alkoven weit und breit

Für so Typen wie uns stellt die Stadtverwaltung von Brügge auf der Webseite eigens einen Plan mit den Drehorten zur Verfügung. Das ist nett. (Update aus den Kommentaren: Die Karte findet man jetzt hier. Danke Bayernbaeda!)


Die Basilika des heiligen Blutes

Wenn man sich diesen Plan aber vorher nicht etwas genauer anschaut, muss man leider feststellen, dass dort wirklich nur die Ortsmarken verzeichnet sind. Die Beschreibungen beschreiben die Sehenswürdigkeiten, nicht aber welche Rolle die Location im Film gespielt hat.


Am Jean-Van-Eyck-Platz

So sind wir also mehr ahnungslos, denn wissend durch die malerischen Gassen gewandelt und haben den historischen Stadtkern auf uns wirken lassen. Und was soll ich sagen, das geht auch. Kann man machen. Wenn man sich dann den Film nochmal anschaut, wird einem klar, dass man die Drehorte sowieso nicht wiedererkannt hätte. Aus was für Winkel die da zum Teil gedreht haben…


Links, nicht mehr im Bild: Yuris Wohnung

Allerdings ist mir aufgefallen, dass Yuri weder in der Raamstraat wohnt noch in der Hausnummer 17. Die Adresse, die da im Film zu sehen ist, müsste Verversdijk 25 sein (sagt Google Maps). Zum Teil passen auch die Wege und Orte nicht ganz zusammen. Kurz vor Showdown läuft Ray nämlich über den Huidenvettersplaats (Gerberplatz) in Richtung Vismarkt (Fischmarkt), er kommt aber am Gruuthuse Innenhof an. Es dürfte jedem klar sein, dass das nicht hinhauen kann.


Der Gruuthuse-Innenhof

Ganz glücklich waren die Brüggelinge** mit dem Film übrigens nicht. Während sich bei den ca. sechs Monate dauernden Dreharbeiten eine gewisse Begeisterung für den Film breit machte, war unter den älteren Mitbürgern ganz plötzlich jegliche Euphorie verschwunden, als Colin Farrell die mittelalterliche Stadt als Fucking Shithole*** bezeichnete.


Fucking malerisches Shithole: Brügge

Das hat uns Lisbet verraten, die Besitzerin des Cafes Bitter Sweet, wo es ganz nebenbei erwähnt die beste heiße Schokolade in ganz Brügge gibt. Ich habe das für euch überprüft:


Beste heiße Schokolade der Stadt

Aber bevor man sich den kulinarischen Köstlichkeiten der Stadt widmet, sollte man sich einen Überblick verschaffen. Jetzt kommen gleich zwei Brügge-Pro-Tipps auf einmal, aufgepasst: Die Besteigung des Bellfrieds sollte allen Ernstes die erste Aktion eines Tages in Brügge sein, gleich morgens nach dem Frühstück. Da ist es dort nämlich verhältnismäßig leer und die eine (!) enge Wendeltreppe, auf der ihr die 366 Stufen bis zum Glockenspiel hoch- und bald auch wieder runterlauft, ist auch bei verhältnismäßig leer eine Herausforderung.


Der Bellfried

Pro-Tipp Nummer zwei: Kauft euch das Drei-Tage-Brügge-Museum-Ticket für 15€. Brügge ist ein teures Pflaster, da wollt ihr nicht in jedem Museum aufs neue Eintritt zahlen und da man wegen des Films ohnehin ins Groeninge Museum muss (deswegen), lohnt sich das Drei-Tage-Ticket schon ****. Ich glaub, der Bellfried allein hätte 8€ gekostet. Ich habe vergessen zu fragen, wieviele Touristen im Jahr den 4,90€-Gag oder inflationsbedingte Abwandlungen davon bringen…


Brügge von oben

Die Aussicht von oben war natürlich fantastisch. Aber mal ehrlich, was kann bei Aussicht schon großartig schiefgehen?


Brügge von oben

Allerdings habe ich auch diesen Drehort kaum wiedererkannt. Zum einen waren die Fenster vollkommen suizidfeindlich vergittert und zum anderen war statt einer einzelnen großen Glocke ein ausgewachsenes Glockenspiel mit vielen kleinen Glocken installiert.


Die Grachten von oben

Die Glockenspiel-Konstruktion war sogar ziemlich interessant. Eine Etage tiefer war die Mechanik zu bestaunen, mit der die einzelnen Glocken angesteuert wurden. Das ist vielleicht vergleichbar mit einer Spieluhr oder so einer Drehorgel. Recht häufig am Tag wurde Brügge also mit feinem Glockenklang beschallt, was ehrlich gesagt gewöhnungsbedürftig ist.


Das Glockenspiel

Ich schieb kurz noch einen Pro-Tipp hinterher: Wenn ihr plant, morgens den Bellfried zu besteigen, lasst am Vorabend die Finger vom belgischen Bier!


Die Spieluhr

Ach das belgische Bier. Belgisches Bier ist schwierig. Das fängt schon mit dem ersten Eindruck an. Jedes Bier in Belgien kommt in einem eigenen, eher filigranem Glas daher (im Film wird das etwas anders formuliert). Barkeeper in Belgien sind sehr unglücklich, wenn sie ein Bier nicht im passenden Glas servieren können. Sie entschuldigen sich dann beim Gast dafür. Mehrfach.


Belgische Biere

Diese kleinen weitesgehend unmännlich wirkenden Bierportionen trinken sich vergleichsweise süffig weg. Das Bier schmeckt auch meistens gut bis hervorragend. Große Biere lassen sich nur selten bestellen, was einen sehr vernünftigen Grund hat, wie ich feststellen durfte. Belgisches Bier dreht nämlich deutlich höher als das deutsche Durchschnittspils: Acht, neun oder gar elf Prozent sind keine Seltenheit.


Der Straffe Hendrik – Wird in Brügge gebraut

Wie gesagt, kein Bier vor dem Glockenspiel. Andererseits solltet ihr auf einen Besuch der einzigen Brügger Brauerei auch nicht verzichten. Der Straffe Hendrik und Brugse Zot – die einzigen in Brügge gebrauten Biere – gehören zu den besten Bieren, die mir in Brügge untergekommen sind.


Absurde Statuen

Eine Besonderheit von Brügge ist der Hang zum Absurden, der sich immer wieder einen Weg durch das mittelalterliche Ambiente zu brechen scheint. Das fängt relativ offensichtlich bei den Statuen der Stadt an.


Absurde Statue

In der Nähe der Brauerei bin ich über einen Laden gestolpert, der sehr interessante Keramikkunst verkauft. Man kann auch über die Webseite des Künstlers bestellen, da ist für jede Berufsgruppe was dabei:


Entbindung

Beim Bellfried war unten eine kleine Fotoausstellung drin, durch die wir als pflichtbewusste Touristen natürlich voller Ehrfurcht den Künstlern gegenüber durch gelaufen sind. Mich haben die meisten Fotos dort nicht vom Hocker gehauen, halt die üblichen Sachen, wenn man sich Fotokunst so anschaut. Aber in einer Ecke gab es wirklich schlechte Aktfotos – nicht unbedingt was die Wahl des Models anging (naja.. auch), sondern eher so vom photografisch-ästhetischen Standpunkt aus betrachtet. Ihr kennt die Art von Bilder, die man ganz oft in den Schaufenstern von sogenannten Fotoatelliers findet? So sahen die aus. Die absurde Pointe der Geschichte: Das was man verständlicherweise auf den ersten Blick für Kunst halten muss, war Werbung für ein Fotostudio um die Ecke, wie die Visitenkarte des Künstlers bewies.


Vorsicht vor kleinen Menschen mit komischen Frisuren

Ihren ganz eigenwilligen Humor beweisen die Belgier auch bei der Gestaltung von Hinweisschildern. Da gibt es wahre Perlen zu entdecken. Mein Lieblingsschild ist das folgende, das wir am verschlossenen Eingang der Sankt Salvadorkathedrale entdeckt haben. Die gestrichelte Wegbeschreibung, die links unten beginnt und entgegen dem Uhrzeigersinn nach links oben führt, bringt den folgewilligen Besucher zu einer verschlossenen Wand. Zwei Waben weiter rechts wäre eine Tür, aber die war eher unscheinbar und außerdem verschlossen.


Sankt Salvadorkathedrale

Das leicht Absurde daran: Der deutlich kürzere und direkte Weg links entlang war keineswegs versperrt. Auch sehr schön war die Installation eines japanischen Künstlers, durch dessen Wabenmuster man einen völlig neuen Blick auf die historischen Bauwerke Brügges gewinnen soll …


Kunst in Brügge

… oder das englische Kloster, dessen Eingang ganz und gar nicht den Erwartungen des Mainstreams entsprechen möchte:


Zugemauerter Eingang

Weiter leicht absurde Züge nimmt zuweilen auch das Stadtbild an sich an. Brügge ist klein und alles in Brügge ist klein. Das zieht sich wie ein Leitmotiv durch die ganze Stadt. Überall stehen kleine niedliche Häuser an kleinen niedliche Gassen.


Das schmalste Haus von Brügge

In Cafes werden kleine niedliche Küchlein serviert, die Suppe kommt in kleinen niedlichen Suppentöpfchen…


Kleines Suppentöpfchen

… und die Jugend bewegt sich auf kleinen niedlichen Mopeds durch die Stadt.


Honda für Gnome

Was merkwürdigerweise nicht unbedingt für das Essen gilt, das einem in Brügge serviert wird: Die Portionen haben Standardgröße und das ist ein Problem.


Der Minnewaterpark

Wie gesagt, Brügge ist klein und immer voller Touristen. Daher hat sich in den Restaurants die gewinnbringende Strategie durchgesetzt, nur zahlende Gäste in den kleinen Gasträumen zu empfangen, also jene, die auch ordentlich was essen.


Schwäne

Wenn man aber im Herbst unterwegs ist, möchte man sich gerne öfter mal ins Warme setzen, bei heißer Schokolade und Waffel oder auch nur Kaffee. Aber das geht nicht in jedem Laden und das ist auch leider das einzige Mal, dass mir Brügges Bewohner unsympathisch waren. Außerdem habe ich selten soviel gegessen, wie an diesem Wochenende.


Touristen in Brügge

Trotz des ganzen touristischen Wahnsinns, der die Stadt offenbar 365 Tage im Jahr fest im Griff zu haben scheint, ist die Stadt immer charmant. Als wir am letzten Abend auf dem Marktplatz einen mehr oder minder talentierten Straßenkünstler – einen Jongleur – beobachtet haben, ist mir auch klar geworden, woran das liegt. Der ganze übliche Touristenramsch fehlt.


Touristen in Brügge

Man sieht einfach keine Straßenkünstler oder Ramschverkäufer. Meine – wie ich finde recht plausible – Theorie dazu: Die Initiative zur Erhaltung des mittelalterlichen Flairs sortiert derartige Gestalten regelmäßig aus und lässt deren Überreste in den Katakomben des Bellfrieds***** verrotten******. Mein Beileid also schonmal an die Angehörigen von Alex:


Straßenkünstler Alex

Zum Schluss möchte ich noch eine Empfehlung loswerden: Schaut euch das Klangmuseum an. Es ist zwar klein und im hässlichsten Gebäude der Stadt untergebracht…


Konzertgebäude von Brügge

… aber da ihr das Drei-Tage-Museum-Ticket habt, kostet es nichts weiter, bietet nochmal schöne Aussicht über das ganze Scheißkaff und hat ein paar verdammt spaßige interaktive Installationen zu bieten.


Glocken im Klangmuseum

Mehr Fotos gibt es wie immer hier.

* Ja klar, für die, die den Film kennen war mein subtiles Spiel mit den Zitaten vollkommen durchschaubar, wenn meine verunglückte Überschrift nicht schon längst alles verraten hat. Aber ihr glaubt ja gar nicht, wie viele Menschen diesen großartigen Film nicht kennen. Manche Sachen muss eben doch etwas ausführlicher erklären.

** So nennt der Reiseführer die Bewohner der Stadt. Kein Witz.

*** Nein, ich übersetze das jetzt nicht.

**** Aber beachtet, dass Montag die meisten Museen geschlossen sind!

***** Keine Ahnung, ob es da überhaupt Katakomben gibt. Aber irgendwo in Brügge haben sie ganz sicher irgendwelche Katakomben.

****** Siehe auch: Hot Fuzz

11 Kommentare

  1. Danke für Deine Beschreibungen, jetzt brauche ich nicht mehr nach Brügge fahren. Obwohl, die
    Pralinen waren köstlich.

  2. Da ich gerade bei der Arbeit bin konnte ich deinen Text nur intensiv überfliegen, aber es hat mir alles sehr gut gefallen und ist schön beschrieben. Meine Frage kann also schon beantwortet sein, weil ich es dann „über“flogen habe, aber ich frage dennoch…

    Wo habt ihr übernachtet und wie teuer war es dort?

    VG,

    Catconnection

    • Das Hotel hieß Cordoeanier, lag ganz in der nähe vom Markt und die normalen zimmer sind so bei 70eur. Viel billiger wirds in Brügge aber auch nicht, es sei den man nimmt mehrbettzimmer in Hostels in kauf.

  3. Ich hatte den Königin Astrid Alkoven gegoogelt und lande auf dieser Seite. Und wo isser jetzt, der Alkoven? Mann, Mann, Mann, muss ich also selbst hin. Wenn ich nur wüsste, wo dieses 5c43155 Brügge liegt.
    Kann die erwähnte Stadtkarte mit den Drehorten bitte hochgeladen werden?!

    • Dieses verf*ckte Brügge liegt im versch*ssenen Belgien.

      Sorry, dass ich dir hier nicht weiterhelfen kann. Weder haben wir rausgefunden, was Alkoven sind, noch wo sie sich im Königin-Astrid-Park befinden. Das mit der Karte ist leider auch schwierig, da ich keine Kopie (digital oder analog) mehr zur Hand habe. Ich fürchte, du musst weiter dein Glück mit Google versuchen. Aber wie weiter oben schon erwähnt, wirklich hilfreich war sie am Ende ohnehin nicht.

      Viel Erfolg und viel Spaß in Brügge!

      • hei
        wollte nur sagen toller Beitrag.
        Die Alkove (gibt nur eine, genau wie im Film) befindet sich genau hinter dem Spielplatz, im Gestrüpp. Einzig die Parkbank existiert nicht so wie gezeigt.

        • Hi Damien,

          danke für die Aufklärung. Wenn ich das nächste Mal in Brügge bin, werd ich mir das genauer anschauen 🙂

        • Vielleicht solltet ihr einfach mal nachschlagen, was ein Alkoven (die Alkove gibt es nicht, es gibt nur den Alkoven) überhaupt ist, nämlich eine Schlafnische oder eine ähnliche Vertiefung in einer Wand (z. B. zum Sitzen). Yuri benutzt in dem Film ganz einfach das falsche Wort (er meint Pavillon oder auf Englisch gazebo).

          • Das klingt auch nicht schlecht. Ich kann mich gerade nicht an irgendwelche Pavillons erinnern. Vielleicht kann das jemand ergänzen, der in letzter Zeit mal da war und frischere Erinnerungen hat 🙂

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  • Rothenburg sehen und… | sixumbrellas 29. März 2016

    […] sehen und sterben noch einmal anschauen – was sowieso immer eine gute Idee ist – denn obwohl ich Brügge im Gegensatz zu Colin Farrells Figur Ray total super fand, konnte ich in Rothenburg etwas mehr Verständnis für seine Skepsis gegenüber alten Gemäuern und […]

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