in live, music

Berlin Festival 2012

Mein Verhältnis zu diesem kleinen familiären Großstadtfestival ist etwas belastet aber so gänzlich ignorieren kann man es als Berliner eben auch nicht. Einerseits sind da meine negativen Erfahrungen von vor zwei Jahren, auf der anderen Seite: Wann bekommt man schon mal so ein umfangreiches Line-Up direkt vor die Haustür gesetzt? Da sich dieses Jahr obendrein eine meiner absoluten Lieblingsbands angekündigt hatte, blieb mir keine andere Wahl, ich war wieder im alten Flughafen.

Aber so ganz ohne Komplikationen bekomme ich ein Berlin Festival nicht über die Bühne. Ich konnte trotz des imposanten Line-Ups irgendwie niemanden aus meinem Freundeskreis überzeugen, das Wochenende durchzurocken. Gut, so imposant fand ich das Line-Up nie, es ging mir nur um diese eine Band und da stehe ich mit meiner Leidenschaft ohnehin recht einsam auf weiter Flur, das hat sich wohl auf meine Überzeugungsarbeit negativ ausgewirkt. Weil ich aber schon ein großer Junge bin, habe ich mich mit einer Tageskarte am Freitag allein ins Abenteuer gestürzt – was irgendwie auch mal eine Erfahrung war, die man – so ehrlich will ich sein – auch nicht zwingend gemacht haben muss.

Dementsprechend wollte ich mir gar nicht so wahnsinnig viele Bands anschauen. Aber mit Of Monsters And Men gab es schon im frühen Nachmittagsprogramm eine, die mich interessierte, gehen sie mir doch mit ihrem Ohrwurm Little Talks schon seit Wochen gehörig auf den Gehörgang (im positiven Sinne, natürlich).

Nun war ich tatsächlich ausnahmsweise mal pünktlich und stand punkt 15 Uhr vor dem alten Zentralflughafen. So wie ca. 10.000 andere Festivalbesucher aus. Das Check-In (aka Taschenkontrolle und Bändchentausch) war dann glücklicherweise rechtzeitig zu Ende, so dass ich noch die letzten drei Takte des letzten Songs von Of Monsters And Men hören konnte. Nun, soviel kann man wohl sagen: Diese drei Takte waren nicht schlecht.


Lady Low

Leider war der Timetable am frühen Nachmittag noch etwas dünn besetzt. Einzig auf der Berlin Music Week Stage gab es ein paar sympathische Klänge aus Island. Lady Low hat dort mit ihrer Gitarre für sehr nette Nachmittagsmusik gesorgt. Das war wirklich schön, was sie da gespielt hat. Aber hier zeigte sich das Berlin Festival mal wieder von seiner bekloppten Seite: Die Berlin Music Week Stage stand in unmittelbarer Hörweite zur Hauptbühne. Zwar gab es im Programm keine direkten Überschneidungen, so dass beide Bühnen quasi ohne Beeinträchtigungen bespielt werden konnten, aber das hätte nur dann funktioniert, wenn man auf der Hauptbühne auf die Pausenmusik verzichtet hätte.


Clock Opera

Überhaupt war ich auf dem Festivalgelände sehr schnell genervt von dem ganzen Lärm. Von überall plärrte einen irgendwas an: Beats aus dem Casino-Zelt, Beats von der zdf.kultur-Mitmachanlage, Musik aus dem Art-Village, Geplärre vom Autoscooter und dann gabs ja ganz nebenbei noch vier Bühnen, auf denen Bands auftraten. Das war zuweilen kein Festival mehr, sondern ein großer nerviger Rummel.

Um dem Rummel zu entgehen, blieb nur der Aufenthalt vor einer der drei Hauptbühnen, wo ich wenig später meine erste Festival-Entdeckung machte: Clock Opera. Ich würde die Musik mal unverblümt als Hipstermucke beschreiben, wohlwissend, dass das nicht unbedingt als Kompliment rüberkommt. Aber ich meine das im positivsten Sinne. Sie haben mich ein wenig an den Bombay Bicycle Club erinnert, mit mehr Glamour und größeren Gesten. Ich fand sie klasse und das trotz des schlechten Sounds im Hangar – an dem Problem hat sich über die Jahre natürlich auch nichts geändert, auch wenn sie die Bühnen in den Hangars so clever hingestellt haben, dass auch das Draußen-Publikum noch was von der Show hat.


Michael Kiwanuka

Nach Clock Opera bin ich mal rüber zum Hangar 4 und hab mir unterwegs ein paar Takte von Michael Kiwanuka angehört, der gerade auf der Hauptbühne spielte. Aber das war nicht mein Ding.


Daughter

Das traf leider auch auf Daugter zu, die gerade in Hangar 4 spielten. Dort hab ich mir immerhin 1,5 Songs angehört, bevor ich mir mein vernichtendes Urteil gefällt habe. Auf dem Rückweg zu Hangar 5 war Michael Kiwanuka auch nicht interessanter geworden.


Flugzeug

Immerhin ist die Festival-Kulisse nach wie vor recht beeindruckend. Leider ist der Blick auf das Rollfeld dieses Jahr durch Buden und Plakate ziemlich verstellt gewesen, aber immerhin haben sie uns ein Flugzeug hingestellt.


Friends

In Hangar 4 sah ich eine Band namens Friends, die zwar ordentlich Stimmung und Krach machte, aber mich auch nicht nachhaltig beeindrucken konnte. Ich verabschiedete mich erstmal eine Pause und kehrte ein paar Stunden später, pünktlich zu Miike Snow, zurück. Ich verfolge die Band bereits seit ihrem Debüt und fand sie immer irgendwas zwischen nett und herausragend und war sehr neugierig, wie sie sich live so machen würden.


Miike Snow

Großartig. Sie machte sich live ganz hervorragend. Ich muss zugeben, ich war etwas überrascht, über die Show, den Sound und über die Publikumsresonanz. Offenbar sind ihr aktuelles Album und vor allem die Single Paddling Out erfolgreicher, als ich annahm. Jedenfalls war da gut Stimmung im Saal, so gut, dass ich es fast ein wenig schade fand, die Show schon vorzeitig verlassen zu müssen. Aber ich war ja mit Orbital verabredet.


Orbital

Wer hier mitliest, weiß natürlich, dass Orbital bei mir ganz oben in der Lieblingsbandsliga mitmischen. Doch irgendwie sind sie mir live bisher entgangen, ich kann mich nicht mal daran erinnern, dass sie überhaupt irgendwann mal in meinem Wirkungskreis live aufgetreten wären. Dann haben sie sich aufgelöst und ich war sehr traurig. Schließlich gab es ja Videos und Bootlegs, die erahnen ließen, dass man da live durchaus was verpasst hatte. Als sich die beiden Brüder letztes Jahr wieder zusammengefunden haben und obendrein beschlossen haben, mehr live aufzutreten, war schon gesetzt, dass ich mir diese Chance nicht noch einmal entgehen lassen würde. Schon gar nicht, wenn sie direkt vor meiner Haustür spielen. Dass zur gleichen Zeit nebenan auf der Hauptbühne die Killers spielten, geschenkt.


Orbital

Was ich dabei schon etwas witzig finde: Orbital wurden zunächst vom Berlin Festival als einer der Headliner beworben, daher auch der Sendeplatz als letzte Band am Freitagabend neben den Killers. Allerdings scheint sich so nach und nach die Erkenntnis breit gemacht zu haben, dass die hier in Deutschland kein Schwein kennt, schon gar keines von den Hipster*-Kids, die heutzutage den Großteil der Festivalmeute ausmachen. So konnte man in den Wochen vorher schön beobachten, wie der Name Orbital immer kleiner wurde auf Homepage und Flyern. Im offiziellen Programmheft hat er es dann nicht mal mehr auf die Titelseite geschafft.


Orbital

Als ich mich rechtzeitig im Hangar 4 ganz weit vorne positioniert hatte, konnte ich dann auch folgendes Schauspiel beobachten: Zwei Mädchen, die gleichermaßen betrunken wie jung waren, drängelten sich ganz nach vorn und warteten auf den Anfang der Show. Neben ihnen stand ein alter Mann, der sie irgendwann ansprach und fragte, ob sie denn wüssten, was sie hier gleich erwartet. Wussten sie nicht und nachdem der alte Sack ihnen ein paar mal erklärt hat, dass das zwar ganz tolle aber eben doch recht alte und vor allem nur elektronische Musik wäre – Das ist ohne Singen!!! – sahen die beiden ihren Irrtum ein und trollten sich in Richtung Hauptbühne.

Bei vielen anderen Mädchen konnte man ganz ähnliche Reaktionen beobachten, nachdem die ersten paar Takte von Halcyon And On And On verklungen waren. Wäre ich nicht in den folgenden 90 Minuten von ehrfürchtiger Gänsehaut ergriffen gewesen, hätte mich die Erkenntnis, auf einer reinen Alte-Männer-Veranstaltung zu raven, vielleicht in eine mittelschwere Depression gestürzt.


Orbital

Ehrfurcht hin, Begeisterung her, ich hatte auch was zu meckern: Der Sound war ziemlicher Mist: Sie haben das Hall-Problem in den Hangers mal wieder mit brachialer Lautstärke zu lösen versucht, was dazu führte, dass die Bässe gnadenlos alles plattwalzten was sich ihnen in den Frequenzgang stellte. Ein paar Songs hat das leider komplett zerstört.


Orbital

Auch war ich mit der Songauswahl nur eingeschränkt zufrieden: Klar, sie hatten alte und neue Sachen dabei, aber eben auch nur ganz alte und ganz neue. Meine Lieblingsalben und damit mehr oder weniger alles, was sie in dem letzten Jahrzehnt produziert haben, haben sie leider vollständig umschifft. Das hinterlässt mich ehrlich gesagt ziemlich ratlos, da sind großartige Tracks dabei, die sie auf früheren Konzerten gerne und ausgiebig präsentiert haben. Wer weiß, es lief ja in den letzten Jahren nicht alles so wahnsinnig gut zwischen den beiden Brüdern, möglicherweise deutet die Setlist da auf etwaige Befindlichkeiten hin.


Orbital

Aber unabhängig von meinen ungelenken Interpretationsversuchen und dem leichten Bedauern keine Liveversionen von Doctor?, Acid Pants oder Way Out zu hören, konnte ich mit den Songs, die gespielt wurden, sehr gut leben, denn sowohl die ganz alten als auch die ganz neuen Sachen sind über jeden Zweifel erhaben. Gerade die neuen funktionierten live fantastisch, Wonky und Beelzedub waren die absoluten Highlights des Abends.

Irgendwann gegen Ende der Show lief ein älterer Track, der leider schon wegen der Soundproblematik verloren hatte, ich war durstig und müde und wünschte mir, ein Engel würde herabsteigen und mir ein erfrischendes Getränk reichen. Ich hatte ein kleines Konzerttief, den Punkt während einer Show, wo man glaubt, alles gesehen zu haben, was man zu sehen hoffte. Es hätte mir an dem Punkt gereicht und ich wäre vermutlich kein bisschen weniger begeistert gewesen.

Doch dann stieg ein Engel herab, reichte mir ein Bier und Orbital spielten Where is it going? vom neuen Album. Das ist der letzte Track auf dem Album, den ich bis dahin ganz nett fand, aber nicht umwerfend. Seit der Liveversion ist das anders.

Ich hoffe inständig, dass das nicht meine letzte Orbital-Show war.

Mein Urteil über das Berlin Festival ist weiterhin durchwachsen. Es ist wirklich jedes Jahr aufs neue eine gute Gelegenheit, viele gute Bands auf einen Schlag zu sehen und irgendwie ist auch die Festivalatmosphäre in den alten Flughafenanlagen etwas Spezielles. Auf der anderen Seite sind da aber auch so viele Sachen, die einfach nur nerven, dass man schon genau abwägen muss. Es gibt bessere Locations in Berlin und die meisten Bands kommen auch so oft genug vorbei…

* Ich habe nichts gegen Hipster, ich brauchte nur eine prägnante und nicht ganz unpassende Schublade, in die ich den Großteil des Publikums mal eben stecken konnte.