Der Postbahnhof ist wirklich ein sehr bemerkenswerter Club oder Konzertsaal oder wie auch immer man das Ding nennen möchte. Mal ganz davon abgesehen, dass es wirklich ein schönes verwinkeltes und lauschiges Gemäuer ist und man sich da drin immer sehr schnell ziemlich wohl fühlt oder dass der Sound wirklich immer ganz großartig ist, hat irgendjemand auch noch ein ausgesprochen gutes Händchen für Künstler-Acquise. Ich habe dieses Jahr nicht ein schlechtes oder nur durchschnittliches Konzert dort erlebt. Ich hatte dort immer nur großartige Abende. Das wollte ich mal erwähnt haben.
Rocko Schamoni
Gestern war nämlich schon wieder so ein Abend: Golden Pudel Reisen 2005 mit Rocko Schamoni, Schorsch Kamerun, Deichkind und vielen anderen.
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Rocko Schamoni und seine Boygroup
Wie so oft in letzter Zeit, bin ich auch hier völlig unvorbereitet und frei jeglicher Erwartungen aufgekreuzt. Mal abgesehen von den Nordlichtern sagte mir kein einziger Name auf dem Flyer irgendwas. Und da standen viele Namen auf dem Flyer, Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun sind allerdings die einzigen Namen, die ich mir gemerkt habe und das auch nur, weil sie auf dem Ticket stehen.
Rocko Schamoni und seine Boygroup
Kennt die irgendjemand von euch? Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wen ich mir da genau angeschaut habe. Der Bühnenterrorist meinte, der Typ da links mit der Gitarre wär Rocko Schamoni. Über Namen, Herkunft und Intention der restlichen Gestalten auf der Bühne herrschte weitgehend Unwissenheit.
Rocko Schamoni und seine Boygroup
Aber meine Autorität in der Sache darf ruhig auch weiterhin in Frage gestellt werden, ich hab von der ganzen Show nur die Hälfte mitbekommen. Anscheinend haben mindestens zwei Bands noch vor dem Ensemble hier auf den Bildern aufgespielt, in denen einige der Protagonisten bereits gesetzt waren.
Rocko Schamoni und seine Boygroup
Aber das, was ich gesehen habe, war schon sehr unterhaltsam und schön. Kauzige und teilweise auch recht alte Herren haben lustige deutsche Texte auf feine Beats und Improvisationen gespielt. Angefunkter Schlager sozusagen.
Rocko Schamoni und seine Boygroup
Die Show dazu konnte sich ebenfalls sehen lassen. Soweit ich das mitbekommen habe, gab es keinen festen Drummer oder Leadsänger oder so. Meistens wechselte die jeweilige Besetzung der Instrumente nach jedem Song. Teilweise auch einige Male während einiger Stücke.
Rocko Schamoni und seine Boygroup
Eine Zugabe gabs auch noch und wenn ich jetzt wüsste, wie sich die Formation nennt, würde ich wahrscheinlich sogar Tonträger von denen erwerben und konsumieren. Mal gucken, ob ich das nicht auch noch rausbekomme.
Deichkind
Dann war es auch schon Zeit für Deichkind und von denen ich zumindest schonmal gehört hatte. Klar, Deichkind, kennt man doch. Die warn doch im Radio. Bon Voyage und so, klar, ganz cool. Deutscher Hip Hop. Her damit.
Deichkind
Aber ganz ehrlich: Auf das, was da kam, war ich nicht wirklich vorbereitet. Ihr kennt sicherlich Szenen aus amerikanischen Filmproduktionen, wo bewaffnete Spezialeinheiten Clubs, Bars oder ähnliche größere Veranstaltungen stürmen, oder? Ja klar, kennt man doch. So ungefähr hat sich der Auftritt von Deichkind angefühlt.
Deichkind
Zugegebenermaßen war ich selbst noch nie bei einer SWAT geführten Razzia zugegen, aber wirklich, so würde ich mir das vorstellen. Die Band betrat die Bühne nicht, nein, sie stürmte die Bühne und schleuderte dem Publikum Krach und Beats im Dauerfeuer entgegen. Die Leude waren zwar zahlenmäßig überlegen, hatten dem aber nichts entgegenzusetzen.
Deichkind – Der Besatzungsstatist Bassist
Bereits nach dem ersten Song dürften alle durchgeschwitzt und weitgehend KO gewesen sein. Mal abgesehen vielleicht von den Herren auf der Bühne. Ich weiß nicht so genau, wie die das gemacht haben, aber ich würde stark auf verbotene chemische Substanzen tippen. Die haben keinerlei Anzeichen für Erschöpfung gezeigt. Unfassbar.
Deichkind
Und das, obwohl sie ständig in Bewegung waren. Die geräumige Bühne war nämlich mit allerlei Gadgets ausgestattet, die wirklich nicht nur zu Dekoration rumstanden. Nein, auf dem Sofa hat sich niemand ausgeruht, bevor es eine echte Hauptrolle bekam, wurde es als Hüpfburg benutzt. Genauso wie die Hüpfburg selbst.
Deichkind
Nachdem die Wunderkerzen verglüht waren, wurden Spielzeug-Leuchtkugeln ausgepackt. Nachdem die geilen Plastiktütenkostüme zerrissen waren, wurde der Brustpanzer angelegt. Nachdem der Regenschirm zu langweilig wurde, kullerte die menschliche Kugel übers Publikum.
Ehrlich, ich wusste nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte. Es war wie Feuerwerk. Nur lauter und mehr und beängstigender.
Deichkind
Die Bühne ragte recht weit ins Publikum, wodurch die Band den nötigen Bewegungsraum für die Show hatte. Das hatte aber auch den Effekt, dass das Publikum recht weit zurückgedrängt wurde. Bildlich gesprochen. Aber der Eindruck hat sich durchaus bestätigt: Die Zuschauer wichen tatsächlich zurück. Der Dicke von Deichkind konnte problemlos in die Reihen der Zuhörer wechseln, ohne nennenswert bedrängt zu werden. Die menschliche Crowdsurfingkugel hat die Leute auch eher eingeschüchtert, als sie herauszufordern.
Deichkind ist Six Umbrellas Fan
Ich will noch nicht von Kapitulation sprechen, aber ein klein wenig enttäuscht war ich von dem Mob dann doch. Dazu hol ich vielleicht etwas weiter aus, sind ja aber eh noch ne Menge Bilder, also hab ich ja Platz dafür.
Deichkind feat. Sofa
Stellt euch eine Party vor, die feucht-fröhlich dahin rauscht und gerade dabei ist, exessiv zu werden. Einem der Gäste fällt vor lauter Exess eine Flasche Bier runter. Wie reagiert der Gastgeber? Klar, er wird irgendwas von Aber das macht doch gar nichts tuscheln, den Gast innerlich verfluchen und den Scherbenhaufen inklusive Bierlache schnell beseitigen, bevor bleibende Schäden entstehen. Das ist Variante A, die wir sicherlich alle schonmal irgendwo so oder ähnlich kennengelernt haben.
Deichkind killing the Sofa
Vor langer langer Zeit in einer Galaxis einem kleinen Dorf weit weit entfernt gleich hier um die Ecke war ich mal auf einem Fest, bei dem der Gastgeber auf das Maleur folgendermaßen reagierte: Er nahm seine eigene bereits zur Hälfte geleerte Flasche und warf sie quer durchs Zimmer, so dass sie an der gegenüberliegenden Wand zerschellte. Die übrigen Gäste quittierten diesen Einsatz sogleich mit dem solidarischen Zerstören ihrer eigenen Getränkebehältnisse. Jeder auf seine ganz eigene individuelle und hochkreative Art und Weise. Und nachdem alle Bierflaschen im Haus zerstört waren, ging man daran, Haus und Garten selbst in Einzelteile zu zerlegen. Ich glaub der MC hat so eine ähnliche Party auch mal erlebt.
Deichkind – Destroyer of Rock’n’Roll Sofa
Ich habe die Sache damals ohne bleibende Schäden überlebt und war über das darauffolgende Hausverbot in dem zerstörten Anwesen auch gar nicht so böse. Naja, wir waren jung und so weiter. Kann schonmal passieren. So ist das halt mit der Stimmung und dem Anheizen und der Unkontrollierbarkeit.
Ich hoffe, ihr habt beim Lesen bis hierher das Sofa im Auge behalten, ich hatte ja angedeutet, dass es noch eine Hauptrolle bekommen würde.
Deichkind – Das Sofa ist von der Bühne gefallen
Nachdem es als zweitklassige Hüpfburg ausgedient hatte, wurde es kurzer Hand quer über die Bühne geschubst und landete schließlich mitten im Publikum. Ja, die Jungs auf der Bühne haben ganz anständig randaliert und schließlich ihr Machwerk dem Publikum übergeben.
Ich sagte ja schon, dass ich etwas enttäuscht war. Zunächst hatte ich fast ein wenig Angst, dass die Stimmung jetzt kippen könnte und mehrere tausend Leute anfangen, es den Künstlern gleich zu tun und den Laden komplett auseinander nehmen. Aber was soll ich sagen: Die Jugend von heute hat es einfach nicht mehr drauf. Man wich ängstlich vom Sofa zurück und war wohl ganz froh darüber, dass es irgendwann wieder auf der Bühne lag…
Deichkind – Was vom Sofa übrig blieb
… wo es dann so aussah. Klar, ich war eigentlich auch ganz froh darüber, dass es nicht zum Aufstand gekommen ist. Tote und Verletzte können einem schon den Abend irgendwie versauen. Aber so ein ganz klein wenig bin ich schon enttäuscht gewesen.
Deichkind – Bühnenterrorismus für alle
Immerhin haben es ein paar Hobby-Bühnenterroristen vollbracht, den vorderen Bühnenbereich zu erklimmen und auf die Art und Weise ihr rebellisches Statement loszuwerden. Das war ja schonmal was. Auch wenn sie da nur solange geduldet wurden, bis die Deichkinder sie mit diebischem Vergnügen wieder runterschubsten.
Deichkind
Ich glaube, jetzt habe ich so ziemlich alles über die Show geschrieben, was man so darüber schreiben kann. Es wird der Sache aber so oder so nicht wirklich gerecht, man muss schließlich dabei gewesen sein, um nen Eindruck davon zu bekommen. Klar, ne?
Deichkind – Er ist heiß!
Ich könnte noch erwähnen, dass ich keinerlei Instrumente auf der Bühne gesehen habe, mal abgesehen von dem Bass. Ich tippe stark darauf, dass der nur als Deko dort war. Dass der Bassist wirklich gespielt hat, kann ich nicht bezeugen, was aber auch nichts heißen muss, ich war schließlich abgelenkt.
Deichkind – Er Sie auch!
Dann könnte ich vielleicht noch was zur Musik sagen. Obwohl ich kein Auskenner in Sachen Deichkind und wie so oft mit der Discografie der Band kaum vertraut bin, habe ich die meisten Songs wiedererkannt. Limit war dabei, natürlich auch Bon Voyage und auch meine persönliche Lieblingsnummer von denen: Komm schon. Electric Superdance Band haben sie sogar zwei Mal gespielt.
Deichkind
Das Schöne an der Musik war, dass die Songs alle irgendwie anders klangen, als man sie so aus dem Radio kennt. Viel härter und lauter und besser.
Im Endeffekt war der Auftritt aber recht kurz. Kurz, aber intensiv, würde ich sagen.
Deichkind
Ich glaub, ich muss demnächst mal Deichkind-Tonträger besorgen.
Ja, der Abend war sehr lustig
Aber was wäre ein Abend wie dieser, ohne die richtigen Leute? Nichts! Genau! Und deshalb möchte ich mich bei den beiden Grinsebacken auf dem Bild da oben ganz doll bedanken. Immerhin waren sie es, die mich überhaupt überredet haben, mitzukommen.
Nette Leute
Hab ich mich weiter oben noch über das zahme Publikum beschwert, muss ich doch zugeben, dass mir das doch eigentlich ganz recht ist. Ich feier doch lieber mit vielen netten Leuten als mit randalierenden Nazis. Stellvertretend für all die coolen Leute, die gestern Abend im Postbahnhof waren, hier also ein Bild von zwei Damen, die uns die Wartezeit an der Garderobe versüßt haben…