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An und für sich

Der sympathischste Musiker Thüringens (mindestens) hat mit seiner aktuellen Tour einen selten genialen Coup gelandet: Mit dem Kauf eines Tickets zu Cluesos An und für sich – Tour hat der geneigte Konzertgänger automatisch auch die Option auf den Download des neuen Albums erworben, das sich zu dem Zeitpunkt noch in der Produktion befand. Was den Absatzzahlen des neuen Albums nicht geschadet haben dürfte, hat zumindest die Hallen gefüllt. In Berlin sogar überfüllt, weswegen die Veranstaltung von der C-Halle* in die Arena verlegt werden musste.

Ich muss ehrlich sagen, hätte ich zum Zeitpunkt des Ticketkaufs schon das Album oder die Location gekannt, der Kauf wäre mir nicht mehr so leicht gefallen.


Clueso

Zur Arena muss ich wohl nicht mehr viel sagen (ich mach’s aber trotzdem). Die Halle hat zu Recht ein Image-Problem. Ich will den Laden eigentlich mögen, immerhin ist die Lage in erreichbarer Nachbarschaft sehr sympathisch und auch die Atmosphäre dieser riesigen alten Gleishalle ist immer wieder etwas Besonderes. Aber die konsequente Weigerung über Jahre hinweg an dem Problem der Akustik etwas ändern zu wollen, entzieht jeglicher Sympathie langsam aber beharrlich die Grundlage. Elektronische Acts können dieses Defizit noch durch brachiale Lautstärke kaschieren, ein Clueso mit seinen sehr dynamischen Arragements ist dort aber hoffnungslos verloren. Die ruhigen Passagen werden vom Publikum übertönt, die lauten von der Halle kaputt gedröhnt. Spaß macht das nicht.


Clueso – Chicago

Ich kann diesen Konzertbericht zum neuen Album nicht schreiben, ohne auch die Albumkritik hier mit unter zu bringen und das neue Album ist leider nicht mehr mein Fall. Clueso hat in meinen Augen seine magische Fähigkeit verloren, großartige Texte zu schreiben. An Stelle der großen und kleinen Geschichten für die ich die Alben Gute Musik und Weit weg geliebt habe, treten in An und für sich bestenfalls nette Belanglosigkeiten und poetische-absurde Willkür:

Mein Herz liegt auf deinem Desktop. Gespeichert unter meinem Namen. Schick’s mir doch per Email, ich würd’s gern wieder haben.

(Absurder Auszug aus Herz)

Musikalisch plätschert das ebenfalls alles etwas unmotiviert vor sich hin. Melancholische Lieder hat er auch früher schon gemacht und das war keineswegs schlecht, auf An und für sich übertreibt er es für meinen Geschmack aber. Etwas Tempo, etwas mehr Würze hätte das Album in meinen Augen dringend nötig gehabt.


Clueso – Chicago

Das soll natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nicht auch für mich echte Perlen unter den neuen Songs gibt – Müsste gehenEy der Regen oder Das alte Haus sind wirklich toll und die Single Zu schnell vorbei ist zu Recht ein erbarmungsloser Ohrwurm. Aber die Hand voll Tracks, die ich Ok finde sind gegenüber der Gesamtheit von 17 eher mittelguten Songs zu wenig, um mich noch zu begeistern.

Ich bin in Sachen Clueso zu einem der furchtbaren und verhassten Fans geworden, die nur noch die alten Songs hören wollen. Dafür schäme ich mich auch so ein bisschen. Aber ganz allein bin ich damit nicht, wie die Reaktion des Publikums zeigt als Clueso nach den ersten drei Songs vom neuen Album eine Zeitreise in seine musikalische Vergangenheit ankündigt: Zu keinem Zeitpunkt während des zweistündigen Konzerts war der Jubel größer.


Clueso – So sehr und unscharf dabei

Aber um es mit Cluesens Worten zu sagen:

Immer nur das Schlechte sehen geht schnell

(Augen zu)

und all mein Gemecker und Gejammer waren in dem Moment verflogen, wo er auf der Bühne stand und seine Show begann. Es gibt wenige Musiker in Deutschland, die ihre Musik auf so hohem Niveau live präsentieren können und nur wenige, die sich dabei offensichtlich so wohl auf der Bühne fühlen. Es hat einen Grund, warum es mittlerweile schon drei Live-Alben gibt und auch die neuen Songs funktionieren hervorragend.


Clueso – Die 2. Zugabe

Ich bin froh, dass es mich trotz der ungünstigen Vorzeichen zu dem Konzert verschlagen hat und ich empfehle jedem, der auch nur ansatzweise etwas mit der Musik von Clueso anfangen kann, ihn sich live anzuschauen. Nein, eigentlich empfehle ich es auch allen anderen, wie gesagt, einen besseren Live-Musiker findet man im deutschsprachigen Raum im Moment nicht.

* Die hieß früher Columbiahalle

  1. Zur Akustik in der Arena: Die ist nicht unbedingt schlecht.
    Das liegt einfach daran dass die Technik mit der die Bands reisen meist für kleinere, eher breite und nicht so tiefe Hallen ausgelegt ist. Wenn man die dann in eine riesige lange Halle stellt klingt das halt nicht mehr optimal.
    Wenn die Arena selbst den Sound macht klingt das durchaus gut…

  2. @Zolf: Ich glaube gerne, dass man die Schuld nicht einseitig verteilen kann, aber die Außenwirkung für die Konzertgänger ist ja, dass es in der Arena meistens scheiße klingt, während das in den anderen Hallen meistens irgendwie klappt. Das schlechte Image bekommt die Halle, nicht die Band, also sollte sich die Halle auch darum kümmern, dass sich daran etwas ändert.

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