in live, music

Julia Marcell

Ich darf dieses Konzert nicht unter den Tisch fallen lassen, auch wenn es schon wieder zwei Wochen her ist, denn es war richtig gut. Dabei habe ich mal wieder völliges Neuland betreten, denn von einer Julia Marcell hatte ich bis dahin noch nie etwas gehört. Was ausgesprochen schade ist, da habe ich ganz offensichtlich etwas verpasst.


Orchid and Hound

Als Vorband hatte die gebürtige Polin das Duo Orchid and Hound mit dabei, zwei Typen aus San Francisco, von denen der eine aussieht wie eine Mischung aus Pocahontas und Thomas Anders – ja, ich habe mich zunächst etwas gegruselt. Aber ehrlich gesagt haben die beiden eine so sympathische Show abgeliefert, dass ich am Ende halbwegs begeistert war, obwohl die nun so gar nicht meine Musik machen. Aber Musiker, die mit Spaß bei der Sache sind, haben es ja tendenziell sehr leicht bei mir.

Eine schöne Kostprobe ihres Schaffens sieht man im folgenden Youtube-Clip, der irgendwo in San Francisco aufgenommen wurde, The Drinking Song:


Orchid and Hound – The Drinking Song

Leider hatten sie bei uns kein so begeistertes Publikum wie im Video, der Sicherheitsabstand wurde großzügig bemessen und eingehalten. Auf der anderen Seite waren die anderen Songs auch eher gediegen – Gesang und Klavier eben – da wurde vom Publikum auch nicht sonderlich viel gefordert. Abgesehen mal davon, sich nicht übermäßig von der guten Laune des Sängers anstecken zu lassen. Im Berliner Herbst ist das bestimmt nicht gesund…


Julia Marcell

Julia Marcell hat der Ruhe dann eine schöne Portion Lautstärke entgegengesetzt. Dabei fing auch sie zunächst sehr ruhig an, mit der Eröffnungsnummer Outer Space aus ihrem Debüt-Album It might like you. Ein magisches Stück, das sie allein am Klavier begleitet hat. Damit hatte sie mich eigentlich schon, diese kleine Frau an dem großen Keyboard mit dieser gewaltigen Stimme – und das ganze Lido hält den Atem an.


Julia Marcell

Von da an wurde es immer besser. Auf die Klanggewalt ihrer Stimme allein wollte sich Frau Marcell nicht verlassen, deshalb hat sie neben ihrem Klavier noch eine Violinistin, einen Bassisten und sage und schreibe zwei Drummer mit auf die Bühne genommen. Zwei Drummer! Die fünf haben ordentlich Lärm gemacht und trotzdem ging kein Instrument irgendwie unter, ihre Stimme schon gar nicht.


Julia Marcell

Normalerweise bin ich für so Mädchenmusik, wie ich das gerne nenne, nicht zu begeistern. Viele Frauen haben schöne Stimmen und schreiben tolle Songs, das trifft nur eben nicht meinen Geschmack. Julia Marcell hat hier aber eine Mischung gefunden, die bei mir einen Nerv trifft. Musik, die sich live nur mit zwei Drummern adäquat abbilden lässt, ist schon auf dem richtigen Weg direkt in mein Herz. Dazu kam noch großzügiger Einsatz des Samplers und was die hübsche Violinistin mit der Violine so angestellt hat, lässt sich hier auch nicht jugendfrei in Worte fassen.


Julia Marcell

Was aber vielleicht das wichtigste an der ganzen Show war: Die spür- und sichtbare Leidenschaft und Begeisterung der Menschen auf der Bühne und der unbedingte Wille, der Musik Leben einzuhauchen. Das wurde vielleicht bei der aktuellen Single Matrioszka am Deutlichsten: Man hätte die Flöte auch einfach aus der Konserve spielen können, hat stattdessen aber einen Flötisten aus Madagaska eingeflogen. Ich habe selten Bands erlebt, die mit soviel Spaß dabei waren, die soviel Freude ausgestrahlt und ihr Publikum so sehr verzaubert haben.

Beim Grande Finale der Show war die kritische Masse an Begeisterung und Sympathie und Spaß dann auch fast erreicht: Den letzten Song haben sie im Duett mit Orchid and Hound gesungen. Vor lauter Zauber und Magie auf der Bühne hätte eigentlich ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum entstehen und die Welt in einen unendlichen Strudel aus Regenbögen und Einhörnen reißen müssen. Dieser Katastrophe sind wir aber wirklich nur ganz knapp entronnen…


Julia Marcell und Orchid and Hound

Nun ja, was ich sagen wollte: Mir hats ganz gut gefallen. Und ihr solltet euch dringend die Alben anhören – auch wenn sie natürlich nicht an die Magie und den Zauber eines Live-Konzerts heranreichen.