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Rothenburg sehen und…

Das Schicksal und mein Arbeitgeber haben es so gewollt, dass ich in der letzten Woche ein paar Tage in Rothenburg ob der Tauber verbringen durfte. Beim Aussprechen des Namens ist es übrigens ganz wichtig, das etwas merkwürdige ob im Namen übermäßig zu betonen, schätze ich. Jedenfalls hilft das, wenn man meine ironisch distanzierte Einstellung zu dem ganzen Trip vollständig erfassen möchte.


Rothenburg ob der Tauber

Alternativ kann man sich auch Brügge sehen und sterben noch einmal anschauen – was sowieso immer eine gute Idee ist – denn obwohl ich Brügge im Gegensatz zu Colin Farrells Figur Ray total super fand, konnte ich in Rothenburg etwas mehr Verständnis für seine Skepsis gegenüber alten Gemäuern und Heerscharen von Touris aufbringen.


Rothenburg ob der Tauber

Vielleicht ist diese Einstellung nicht ganz gerechtfertigt und am Ende der geringen Freiwilligkeit der ganzen Unternehmung geschuldet, ändert aber nichts daran, dass ich jetzt kein großer Fan von dem Nest geworden bin. Dabei ist Rothenburg auf den ersten Blick wirklich schön und hat ein zwei Highlights zu bieten.


Stadtmauerrundgang

Allen voran ist da natürlich die gut erhaltene bzw. restaurierte Stadtmauer zu nennen, die die ebenfalls gut erhaltene und sehenswerte Altstadt umrandet.


Ich nenne es: Tränen

Das Besondere an der Stadtmauer ist, dass man sie auf der inneren Seite fast umrunden und das Altstadtpanorama von allen Seiten begutachten kann. Das ist schon cool.


Stadtmauer von innen

Das zweite Highlight, was man in Rothenburg auf jedenfall mitnehmen sollte, ist die Besteigung des Glockenturms im Rathaus.


Rothenburg von oben

Schon der Aufstieg ist ein kleines Erlebnis, sind die wackligen Holztreppen doch recht eng und steil.


Rothenburg von oben

Dafür wird man am Ende aber auch mit einer wunderschönen Aussicht belohnt, die weit über die Grenzen der Altstadt hinausragt. Das Taubertal ist landschaftlich wirklich hübsch anzusehen, bei jeder Wetterlage.


Taubertal

Wenn man schon in einer malerischen Altstadt unterwegs ist, kann man sich auch etwas fortbilden und etwas über das Leben im Mittelalter lernen. Obwohl Rothenburg auf den ersten Blick eine Tourifalle ohne nennenswerten Tiefgang oder gar Bildungsauftrag zu sein scheint, gibt es doch ein paar Gelegenheiten, tiefer in die Geschichte der Stadt einzutauchen.


Kriminalmuseum

Das Kriminalmuseum ist so eine Gelegenheit. Es profitiert stark von dem schönen mittelalterlichen Ambiente, das es dafür nutzt, die authentischen Ausstellungsstücke – vornehmlich Folterwerkzeuge – im rechten Lichte zu präsentieren.


Schandflöte für schlechte Musikanten

Wenn man das möchte, kann man die unzähligen Texte und Originalquellen studieren und die Zeitreise noch intensiver gestalten.


Doppelhalsgeige für zanksüchtige Frauen

Unter dem Rathausturm gibt es noch das Historiengewölbe mit Staatsverlies, das durchaus einen Blick Wert ist, auch wenn es nicht an den Umfang des Kriminalmuseums heranreicht.


Gewölbe

Aber im Gegensatz zum Museum liegt hier auch ein eindeutiger Focus auf das mittelalterliche Leben der Stadt, speziell zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, der für Rothenburg eine ganz besondere Bedeutung hatte.


Verlies

Ich würde an der Stelle gerne auf die Wikipedia verweisen, für alle, die das Vertiefen möchten. Da wir aber ausgerechnet vor dem Pfingstwochenende dort waren und ich den Kontext gleich brauche, um zu erklären, warum diese Stadt in diesen Tagen völlig Amok gelaufen ist, muss ich die Legende vom Meistertrunk hier kurz wiedergeben:


Nase

Irgendwann während des Dreißigjährigen Krieges wurde die Stadt von einem General Tilly angegriffen und auch erobert. Die Stadtmauern, die sich bis dahin wunderbar bewährt hatten, konnten den zwischenzeitlich erfunden Kanonen nichts entgegensetzen. Tilly war offenbar ein lustiger Geselle und bot der Stadt an, sie zu verschonen, wenn jemand es schafft 3,25 Liter Tauberwein auf einen Zug auszutrinken, was der damalige Bürgermeister Nusch daraufhin tat.


Kanone in der Spitalbastei

Dieses Schauspiel fand angeblich zu Pfingsten statt, was nun jedes Jahr zum Anlass genommen wird, die ganze Stadt in einen Ausnahmezustand zu versetzen. Das beginnt schon in den Tagen vor Pfingsten, wo die Belagerung und der drohende Angriff nachgespielt bzw. angedeutet werden. Also laufen dann ganz viele verkleidete Leute durch die Stadt, es wird viel getrommelt, gesungen und nachts werden Kanonen abgefeuert.


Pfingstfeierlichkeiten

Am Pfingstwochenende selbst wird die Stadt ob der Festlichkeiten förmlich abgeriegelt. Wer bis 12 Uhr mittags sein Auto nicht aus der Stadt bewegt hat, sieht es vermutlich nie wieder. Ich nehme an, das ist vergleichbar mit den 1. Mai – Festlichkeiten, die wir hier traditionell in Berlin begehen. Genau nachprüfen konnte ich das nicht, denn ich habe die Gelegenheit genutzt, mich rechtzeitig von Rothenburg zu verabschieden.


Wine & Gift

Und damit sind wir jetzt auch endlich bei den Sachen, die mich an der Stadt ziemlich gestört haben und warum ich niemandem empfehlen würde, dahin zu fahren. Rothenburg ist leider von vorne bis hinten eine reine Touri-Falle. Vormittags wird Busladung für Busladung Japaner dort ausgekippt, durch die Stadt getrieben und in den Souvenirläden mit üblem Ramsch abgefertigt. Um 18 Uhr sind die Busse wieder verschwunden und die Stadt ist tot.


Ramsch für Japaner

Anders als in Brügge, wo man glaubhaft den Eindruck vermittelt bekommen hat, dass dort auch Menschen leben und das mitunter sogar gerne, ist Rothenburg meist nur eine hübsche Kulisse ohne echte menschliche Wärme. Dabei kann ich nicht behaupten, dass ich während der Tage dort unfreundlich behandelt wurde. Im Gegenteil, die Menschen sind sehr freundlich, aber es bleibt alles irgendwie sehr oberflächlich.


Schneeballen

Mein Gradmesser ist da gerne Kaffee. Mir ist es in der Zeit nicht gelungen, einen vernünftigen Kaffee zu bekommen, obwohl man keinen Stein werfen kann, ohne ein Cafe zu treffen. Überall wird einem lieblose Plörre aus dem Vollautomaten serviert und jeder Laden bietet einem das unsägliche Traditionsgebäck Schneeballen an, das ganz objektiv wirklich niemand toll finden kann. Es ist einfach alles nur für Touris gemacht, die sowieso nie wieder kommen, nicht für echte Menschen, die diese Läden auch freiwillig in ihrem Alltag aufsuchen würden.


Eine Rothenburger Spezialität

Immerhin ist die Landschaft um Rothenburg sehr nett. Ich habe mich zu einem kleinen Lauf ins Taubertal überreden lassen, das wirklich eine schöne Kulisse für derartige Tätigkeiten bietet. Aber, wo Tal da auch Berg und so ein lockerer Lauf ins Tal bedeutet anschließend auch ein gequältes Schleichen den dazugehörigen Berg hinauf, wofür ich ehrlich gesagt nicht gemacht bin. Dank an meinen Sparringspartner, ohne den ich aufgegeben hätte und vermutlich heute noch im Tal rumschleichen würde.


Doppelbrücke

  1. Danke für die Beschreibung, da muss ich jetzt nicht mehr hin

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