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Nachwuchs ohne Talent

Bandwettbewerbe können eine feine Sache sein. Mit etwas Glück kann man bei so einer Gelegenheit die eine oder andere Perle der Zukunft entdecken, einen Geheimtipp auftun, lange bevor es zum Geheimtipp wird oder einfach nur ein paar Stunden für günstig Geld unterhalten werden. Es kann aber auch sehr langweilig und enttäuschend werden…

Am Freitag den 6.5.2005 fand das 1. Semifinale des Emergenza-Bandwettbewerbs statt, auf dem 8 Bands um die Gunst der Zuschauer buhlten. Ein abgekartertes Spiel irgendwie, da jede Band ihre Fanbase im Gepäck hatte …

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Erster Auftritt und Eisbrecher des Abends war die Band Sofakingstupid, die sich mit sympathischer Frontfrau und Rock im Herzen der Herausforderung stellten. Zu meiner Freude wurde englisch gesungen, was in Zeiten der Neuen Deutschen Perfekten Welle ja fast schon als Sakrileg gilt, entscheidet doch heute schon allein die Sprache der Songtexte über Plattenvertrag oder Schülerband. Auch wenn ich die Musik verhältnismäßig uninteressant fand, boten die fünf Protagonisten eingängigen und soliden Rock und was noch viel wichtiger war: Sie haben tatsächlich das Eis gebrochen und so etwas wie Stimmung die nahezu leere Halle gezaubert.

Der Grund meiner Anwesenheit bei dieser Veranstaltung trat leider schon als Zweites auf: Anandamid. Die drei Ex-Templiner boten abgefahrene elektronische Musik, die insgesamt leider viel zu verkopft daher kam, als dass sie irgendjemand jenseits der Bühne hätte verstehen können. Schade eigentlich, denn die Ansätze sind mitunter richtig gut. Es fehlt nur das Quäntchen, das aus der staunenden und etwas ratlosen Menge eine tanzende und feiernde Horde macht. Aber meinen Geschmack haben sie getroffen und meine Stimme war ihnen sicher. Kunststück, wo ich doch Member der Fanbase war ;)

Als nächstes gabs Familie Mit Hund, eine recht skurile Metal-Band mit deutschen Texten im Gepäck. Ich war weniger begeistert, bei solchen Lyrics wie Fickt euch alle und fahrt zur Hölle, dann gehören mir eure Seelen. Natürlich klassisch ins Mikro gekotzt, wie es sich eben gehört. Ist bestimmt was für Fans der Genres.

Tokio Cheesecake traten als viertes auf. Diese Band hatte augenscheinlich viele Menschen mitgebracht, denn die Stimmung war im Vergleich zu den Vorgängern wesentlich besser. Für die Musik galt das allerdings nicht. In meinen Ohren klang es nur nach äußerst langweiligem und belanglosem Rock mit englischen Texten und nem äußerst peinlichen Gitarristen. Nur weil man fünf mal Timmmähhhh schreit, ist man eben noch lange nicht cool.

Aus dem fernen Leipzig reiste Band Nummer 5 an: Ballentine (Hat jemand einen Link?). Sie begannen mit einem instrumentellen Intro und sowohl Sound als auch der Look der Band ließen Qualität aus Richtung von Muse oder Placebo erahnen. Leider wurden diese Hoffnungen nicht erfüllt. Nach dem ersten Stück präsentierte sich nämlich eine ebenso dunkel geschminkte Sängerin, die in feinster Gothic-Manier ihre englischen Texte trällerte. Technisch war die Band wirklich gut, auch die Sängerin, nur passte in meinen Ohren der Gesang nicht zur Musik. Liegt aber vielleicht auch daran, dass ich mit dem im südöstlichen Deutschland verbreiteten Gothic-Trend a la Nightwish oder Within Temptation nicht viel anzufangen weiß. Das empfanden die anwesenden Gäste allerdings auch.

An 6. Stelle gab es ein echtes Highlight des Abends. Obwohl Metal wirklich nicht mein Ding ist, war ich von Declamatory wirklich begeistert. Eine Band wie frisch aus den 80ern importiert. Hier stimmte einfach alles: Die Musik, die Show, die langen Haare, die Stimmung. Innovation kann ich ihnen nicht zusprechen, aber zumindest sorgten sie für Kurzweil. Trotz des Krachs, den sie allgemein Musik nennen dürften, ließen sie Raum für echte Gitarrensolis und für das Publikum. Von all den Bands dieses Abends war Declamatory definitiv die professionellste.

So langsam ging mir aber die Luft aus an dem Abend und meine Laune sank noch ein Stückchen mehr, als ich die ersten Klänge von Harthof vernahm. Technisch wieder absolut einwandfrei präsentierte sich hier aber wieder nur eine langweilige Band, die mitten im Trend zu schwimmen versucht. Völlig belanglose deutsche Texte, in belanglosen Songs, vorgetragen von einem mittelmäßigen Frontmannkind. Dabei haben sie sich schon bei den ganz Großen da draußen bedient: Ansatzweise klang es hier nach The Offspring, dort nach The Ramones und dort drüben nach Die Ärzte. Aber irgendwie hats nicht geholfen. Da reißt es dann auch nicht mehr raus, dass man einen Gitarristen hat, der fast genauso aussieht wie Farin Urlaub. Dank mitgebrachter Teeniehorden hat aber die Stimmung gestimmt.

Zu guter oder auch schlechter Letzt präsentierten sich die Metaller von Twisted Mindz. Wiederum ist das nicht mein Genre, aber wenn ich mal direkt mit Declamatory vergleiche, schien Twisted Mindz eher die untere Schicht dieser Stilrichtung widerzuspiegeln. Von Stimmung war dann auch nicht mehr viel zu spüren, der Abend war einfach schon zu lang gewesen, als dass noch irgendjemand Lust oder Ausdauer gehabt hätte, dieser Band eine Chance zu geben.

Und wer hat nun gewonnen?

Abgestimmt wurde jeweils nach dem Auftritt einer Band durch Handzeichen. Wie ich bereits erwähnte, war die Halle bei jeder Band unterschiedlich stark befüllt. Sofakingstupid als erste Band hat beispielsweise vor fast leerem Haus gespielt und trotzdem Stimmung herbeigezaubert. Andere Bands waren zu Primetime an der Reihe und hatten genug Freunde im Hause. Wurde das Ergebnis diesen Tatsachen gerecht? Nö.

And the winner is …

Platz zwei ging an Tokio Cheesecake und gewonnen hat Harthof.

Schülerband!!! Schülerband!!! Schülerband!!! (Danke Tom!)

Der Rest der Halle, mittlerweile anscheinend nur noch aus Harthof- und Tokio Cheesecake-Fans bestehend, hat sich natürlich ohrenbetäubend laut gefreut. Wer hätte es anders erwartet.

So richtig ärgern mochte ich mich über das Ergebnis dann aber auch nicht. Würde keine der Bands den jeweils kompletten Freundeskreis mobilisieren, würden Bandwettbewerbe vermutlich angesichts gähnender Leere stattfinden. Das ist schon ok und wenn eine Band für sich 10 Leute mehr mitschleppen kann, als alle anderen Bands, dann heißt das wohl auch, dass es 10 Leute mehr gibt, die sich diese Musik freiwillig antun. Irgendwo ist das also alles gerechtfertigt. In Zeiten von Brandes und Co. mag man hier von Bestechung sprechen wollen, allerdings kann ich angesichts der wirtschaftlichen Lage der Newcomer nicht sehen, wo dafür die nötigen finanziellen Mittel herkommen sollten ;)

Was mich an dem Abend viel mehr gestört hat, war das Fehlen von Mut und Innovation. Sicher bin ich parteiisch, wenn ich jetzt mal ein wenig von Anandamid schwärme, aber allen Ernstes hat diese Band dem ganzen Abend zu etwas Farbe verholfen. Man hat sich was getraut. Völlig schräge Beats zu abgefahrenen Gitarren-Riffs, Gesang ohne das traditionelle Strophe-Refrain-Korsett und der Teils fantasievolle Einsatz von Synthesizern und Samplern haben dem ganzen Auftritt ein sehr angenehmes Spektrum gegeben. Nein, wirklich gut waren sie objektiv gesehen nicht, aber anders und neu. Wenn sie es noch eine Weile durchhalten, dürften wir noch ein paar sehr interessante Sachen zu hören kriegen.

Tja und sonst? Sonst gab es nur Standard-Rock oder Standard-Metal, vielleicht hier mit einem Spritzer Standard-Gothic oder dort eine Prise Standard-Punk. Nix Neues und was viel schlimmer wiegt: Nirgends auch nur der Versuch, etwas Neues zu bringen. Anandamid war die einzige Band, die ohne das übliche Line-Up bestehend aus Drum, Gitarre und Bass auskam. In Sechs der insgesamt acht Bands mussten Sänger oder Sängerin jedoch über die gesamte Länge der Show stets gegen zwei Gitarren anschreien. Viel zu viel Standard, was hier geboten wurden war mehr Handwerk als Kunst und das machte es langweilig.

Nun ja, ich denke, ich habe meiner Enttäuschung genug Luft gemacht. Ich hoffe, dass sich in den weiteren Runden dieses oder anderer Bandcontests entsprechend motivierte, anspruchsvolle und vor allem beliebte (!!!) Bands diesem Trend von Neuer Deutscher Langeweile entgegenstellen werden. Und wer weiß, sie wollen ja noch wachsen und eines Tages werden sie vielleicht zum Geheimtipp oder landen sogar den ganz großen Wurf. Ich wünsche ihnen viel Glück!!!

Um den Abend aber noch eins drauf zu setzen, hat sich das SO36 aber mal wieder von seiner besten Seite gezeigt. Statt das nett gefüllte Haus noch ein wenig mit ansprechender Musik und teuer verkauften alkoholischen Getränken zu unterhalten, schließlich möchte man den Sieg feiern oder die Niederlage schnell wieder vergessen, wurde um 0:30 Uhr das Licht eingeschaltet und die verbleibenden Leute im wahrsten Sinne des Wortes rausgekehrt. Bravo!!!

  1. Ich finde das ganze Emergenza ziemlich suspekt. Bands bekommen keine Gage – sollen selber Publikum ranschaffen.. also ich empfind es bisschen als gross angelegte abzocke kleinerer Bands..

  2. War mein erster Kontakt mit dieser Art von Veranstaltung. Allerdings sehe ich das mit der fehlenden Gage nicht so eng, immerhin geht es um Publicity für die Bands. Außerdem dürfte noch der eine oder andere Preis mit drin sein (Vertrag? CD Produktion? Equipment), das weiß ich aber nicht.

    Was allerdings schon nach Abzocke riecht: Um bei dem Wettbewerb mitzumachen, muss jede Band erstmal 70 Eur löhnen. Die Einnahmen von den Eintrittsgeldern (eine Karte an der Abendkasse hat 11 Eur gekostet) dürften hingegen bei Emergenza gelandet sein… Hm, insofern hast du vermutlich Recht, sehr suspekt das Ganze 😉

  3. und da warnt man doch immer im Fernsehen vor den boesen Menschen, die VOR den Probeaufnahmen schon Geld haben wollen….

    =-)

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